1. Gespräch mit Schülern

Normales Leben ist eine Besonderheit!

Diese Aussage, die nur einen scheinbaren Widerspruch birgt, fasst den Besuch zweier Nierentransplantierter in unserem Kurs wohl am besten zusammen.

Zum Abschluss der Unterrichtseinheit zum Thema Transplantation hatte Frau Schaeffer zwei Bekannte eingeladen, die seit vielen Jahren mit einer Spenderniere leben.

In einem 45-minütigen Gespräch erzählten sie uns ihre Lebens- und Leidensgeschichte und standen anschließend für unsere Fragen zur Verfügung.

Der eine, ein Mann mittleren Alters, stellte sich unter dem Namen Gebhard Neu vor und bot uns wie selbstverständlich das Du an. Begleitet wurde er von einer etwas älteren Frau mit dem Namen Monika Gimberlein. Von unserer anfänglichen Schüchternheit unbeeindruckt bot Herr Neu uns zuvorkommend an, dass sie uns einfach mal ihre Geschichten erzählen.

Herr Neu erkrankte im Alter von 16 Jahren und im Laufe der Jahre wurde seine Nierenfunktion zunehmend schlechter, sodass er mit 23 Jahren mit der Dialyse beginnen musste. Unter der Dialyse versteht man die künstliche Blutwäsche, bei der die Aufgaben der Niere, das Blut von Schadstoffen und überflüssigem Wasser zu befreien, von einer Maschine (Hämodialyse) oder dem Bauchfell (Peritonealdialyse) übernommen werden muss. Herr Neu musste sich der Bauchfelldialyse unterziehen und begann sein Studium unter Dialyse.

Die Bauchfelldialyse muss im Schnitt viermal am Tag durchgeführt werden und nimmt jedes Mal mindestens eine halbe Stunde in Anspruch. Diejenigen, die die Dialyse nicht zuhause durchführen können, müssen dafür ins Krankenhaus.

Für Herrn Neu stellte die Dialyse eine große Beeinträchtigung seines sozialen Lebens dar. Sein Lebensalltag wurde von den Dialysezeiten bestimmt und er zog sich aus seinem sozialen Umfeld zurück. Normale Dinge, wie Essen gehen oder Sport treiben sind für Dialysepatienten nur eingeschränkt möglich, da man nur eine bestimmt Menge an Flüssigkeit zu sich nehmen darf. Auch muss man stets penibel auf seine Ernährung achten, da beispielsweise ein Übermaß an Eiweiß oder Kalium zu schwerwiegenden Stoffwechselstörungen führen können. Ein „normales“ Leben gibt es dann nicht mehr.

Nach 13 Monaten auf der Warteliste wurde Herr Neu vor 27 Jahren schließlich in Heidelberg transplantiert. Er selbst beschreibt sich nach der Transplantation als „anderen Menschen“ und sieht die Zeit nach der Transplantation als neues geschenktes Leben an. Er konnte sich ein neues soziales Umfeld aufbauen, intensiv Sport treiben und einen Beruf ausüben. Das „normale“ Leben war wieder möglich – etwas Besonderes für ihn. Die Spenderniere wurde in den vorderen Bauchraum, also nicht zu den anderen beiden defekten Nieren, eingesetzt. Er berührt sie oft und empfindet tiefe Dankbarkeit für den Spender, der ihm ein neues Leben ermöglicht hat.

Die Geschichte von Monika Gimberlein ist nicht minder bewegend. Bei der Geburt ihres Sohnes erlitt sie ein akutes Nierenversagen, was eine sofortige Dialyse zur Folge hatte. Nach einem Jahr Hämodialyse konnte sie schließlich auf die Bauchfelldialyse umsteigen, nachdem sich ihr Zustand verbessert hatte.

Im Jahr 1984 wurde Frau Gimberlein in Freiburg transplantiert. Allerdings verlor sie die Niere nach drei Jahren wieder, was weitere zwei Jahre Dialyse zur Folge hatte. Auch für Frau Gimberlein stellte die Dialyse eine große Einschränkung dar. Im Jahr 1989 wurde sie dann ein zweites Mal transplantiert und behielt diese Niere bis zum heutigen Tag. Seither war es ihr wieder möglich, ihrem Beruf nachzugehen und ihr Kind großzuziehen. Das Datum der zweiten Transplantation feiert Frau Gimberlein wie ihren Geburtstag. Auch besitzt sie eine „ Nierenschwester“ zu der sie regelmäßigen Kontakt hält. Dies ist eine andere Frau, die die zweite Niere des Organspenders erhalten hat. Auch Frau Gimberlein empfindet tiefe Dankbarkeit für den Spender und zündet immer eine Kerze für ihn an.

Beide sind Mitglied in der Selbsthilfegruppe „IG Dialyse Nordbaden e. V.“ und froh, sich kennen gelernt zu haben. Unter normalen Umständen wäre das wohl nie der Fall gewesen.

Sie sind ihrerseits bereit, Organe zu spenden und plädieren dafür, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen. Schließlich bedeutet das Ausfüllen des Organspendeausweises nicht zwingend, dass man Organe spenden will, sondern lediglich, dass man Klarheit schafft und den Angehörigen im Extremfall die schwierige Entscheidung abnimmt.

Die wenigsten wissen, dass auf dem Organspendeausweis auch die Option „NEIN, ich widerspreche einer Entnahme von Organen oder Geweben“ enthalten ist.

Das Gespräch bot für mich und meinen Kurs die Möglichkeit, einen direkteren Bezug zum Thema Transplantation zu bekommen, nachdem wir die Theorie im Unterricht besprochen hatten. Die Offenheit, mit der Herr Neu und Frau Gimberlein uns ihre Geschichten erzählten, hinterließ im Kurs und insbesondere bei mir tiefen Eindruck. Niemand von uns möchte so schlimm erkranken, dass er auf ein Spenderorgan angewiesen ist und sein Leben an einem Platz auf einer Warteliste hängt. Doch leider ist dies seit Jahren die Realität und es sterben jährlich in Deutschland um die 1.000 Menschen aufgrund von fehlenden Spenderorganen.

Sowohl in unserem Kurs, als auch in der Allgemeinheit sind die Meinungen zum Thema Organspende verschieden, was auch völlig legitim ist. Dennoch bin ich der Meinung, dass man durch nüchterne Aufklärung mit einigen Vorurteilen, vor allem den Hirntod betreffend, aufräumen kann und muss.

Lennart Sailer, Fichte Gymnasium