Organtransplantation – Informationen und Gespräche
Eine Veranstaltung im jubez Karlsruhe am 20. Februar 2013
Eine besondere Diskussionsrunde zum Thema Organspende und Organtransplantation fand am 20. Februar im jubez Karlsruhe statt. Veranstalter waren die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Karlsruhe, die Evangelischen Frauen in Baden, Evangelische Akademie Baden und jubez. Die Gesprächsrunde, zu der sich etwa 50 Gäste einfanden, setzte sich überwiegend kritisch mit dem eigentlichen Vorgang der Organspende, also der Explantation von Organen hirntoter Spender in der Klinik, auseinander. Dabei standen die ethischen Aspekte der Hirntoddiagnostik und das Erleben der Situation durch Angehörige im Vordergrund.
Nach einer kurzen Einführung zum neuen Transplantationsgesetz durch Frau Uta Engelmann von der Evangelischen Akademie Baden gaben die geladenen Experten Stellungnahmen aus Ihrer Sicht ab, deren wesentliche Aussagen ich kurz zusammenfassen möchte:
Frau Dr. Miriam Toomes, Anästhesistin und Transplantationsbeauftragte des Städtischen Klinikums: Das Verfahren der Organspende ist im Städt. Klinikum fest etabliert, es gibt etwa 6 – 10 Organspenden pro Jahr. Die Organentnahmen erfolgen durch die Chirurgen-Teams der Transplantationszentren. Fr. Dr. Toomes wendet für Ihre Aufgabe etwa 1 Tag pro Monat auf, wobei der Schwerpunkt auf der Schulung der Mitarbeiter besteht. Gespräche mit Angehörigen werden meist nicht von ihr selbst geführt. Wenn kein Organspendeausweis vorliegt und keine Angehörigen befragt werden, werden auch keine Organe entnommen. Andererseits sieht sie aber auch einen unauflösbaren Konflikt, wenn ein Organspendeausweis vorliegt und die Angehörigen einer Organentnahme nicht zustimmen. Da sie diesen Konflikt für unauflöslich hält, werden auch dann – trotz der Willenserklärung – keine Organe entnommen. Dies wurde im Plenum auch anders gesehen: die Willenserklärung sei ausschlaggebend.
Josef Theis, Vorstandsmitglied Verband Lebertransplantierter e. V.: Hr. Theis schilderte seine persönliche Krankheitsgeschichte. Nach jahrelanger Krankheit mit Leberzirrhose durch eine Hepatitis und Lebertumoren erhielt er vor 19 Jahren eine neue Leber und möchte in seinem zweiten Leben Betroffenen helfen und über Organspende aufklären. Er beklagt, dass in 2/3 der Fälle die Angehörigen über eine Organentnahme entscheiden müssen, da keine Willenserklärung des möglichen Organspenders vorliege. Die nackten Zahlen zeigen die Not: bei 4.000 Hirntod-Fällen pro Jahr gibt es etwa 1.200 Spender, denen etwa 10.000 Menschen gegenüberstehen, die auf ein Organ warten.
Gisela Meier zu Biesen von der Initiative Kritische Aufklärung über Organtransplantation (KAO) e. V. erzählte unmittelbar im Anschluss Ihre Geschichte und betonte, dass ihr dies schwerfalle, nachdem sie die Geschichte des Lebertransplantierten gehört habe und dass sich ihre Kritik nicht gegen Organempfänger richte. Ihr 16-jähriger Sohn war im Skiurlaub so unglücklich gestürzt, dass er auf einen Stein fiel und sich ein Schädelhirntrauma zuzog. In der Klinik waren sie und ihr Mann sich nach wenigen Tagen mit der Diagnose Hirntod und der Frage nach Organspende konfrontiert. In einer äußerst verzweifelten Situation und im Schockzustand stimmten die Eltern der Entnahme der Nieren zu, obwohl sie ihr beatmetes Kind, welches warm und lebendig wirkte, nicht als tot wahrnehmen konnten. Man habe sie dann aus dem Krankenzimmer hinauskomplimentiert mit dem Versprechen, den Sohn nach der Explantation auf der Station aufzubahren. Nachher konnten die Eltern Ihren Sohn jedoch nur in der Pathologie noch einmal sehen und waren geschockt, denn der Sohn wirkte, als ob er gelitten hätte. Die Eltern werfen den Transplantationsmedizinern vor, dass das Sterben des juristisch hirntoten, aber nicht wirklich toten Menschen, massiv gestört und die Begleitung durch die Angehörigen behindert werde. Dies alles ohne echte Aufklärung über das Vorgehen bei der Organentnahme. Sie möchte, dass die erweiterte Zustimmungs- und Entscheidungslösung in Deutschland durch eine enge Zustimmungslösung ersetzt wird: Nur Menschen, die selbst schriftlich einer Organentnahme zugestimmt haben, dürfen Organe entnommen werden. Den Angehörigen eine solche Entscheidung aufzubürden, sei unmenschlich und unmöglich, da diese im Schockzustand nicht entscheidungsfähig seien.
Pfarrer Gregor Bergdolt, ev. Krankenhausseelsorger St. Vincentius & Marien Kliniken Karlsruhe: Pfarrer Bergdolt drückt seine Betroffenheit über die beiden zuvor beschriebenen extremen Positionen aus. Er selbst könne aus eigener Erfahrung wenig beitragen, da in seiner Klinik im Jahr etwa 1 Explantation stattfinde. Herr Bergdolt weiß aus dem Austausch mit Kollegen, dass Klinikseelsorger vor der Organspende selten gerufen aber danach häufig gebraucht werden. Er hält die Verantwortung zur Entscheidung für die Angehörigen einfach für zu groß. Jeder sollte selbst über Organspende entscheiden und diese Entscheidung niemand anderem aufbürden. Frau Dr. Toomes erwidert hierauf direkt, dass im Städtischen Klinikum das Gespräch mit dem Seelsorger immer angeboten werde, die Verbindung aber nicht immer hergestellt werden könne. Pfarrer Bergdolt sieht dies im Schockzustand der Angehörigen begründet. Frau Meier sieht es so, dass die Seelsorger im Sinne der Transplantationsmediziner eingespannt werden und ihre eigentliche Aufgabe, den Sterbenden und seine Angehörige zu begleiten, vernachlässigen.
Annegret Brauch, ev. Frauen in Baden, die die Veranstaltung moderiert, fragt: Wie viel Zeit bleibt denn für die Entscheidung?
Fr. Dr. Toomes antwortet, dass die Hirntoddiagnostik von 2 Ärzten im Abstand von 12 Stunden bestätigt werden muss. Dann muss der Patient weiter beatmet und ernährt werden. Dennoch sollte die Entscheidung binnen weiterer 48 Stunden fallen, da sich die Funktion der Organe trotz Intensivmedizin verschlechtert. Nach der Feststellung des Hirntods wird der Totenschein ausgestellt. Die Krankenkasse stellt also ihre Leistungen ein, die folgenden Intensiv-Behandlungskosten werden durch eine Pauschale gedeckt, die die DSO bezahlt.
Dr. Paolo Bavastro, Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Betriebsmedizin schließt unmittelbar an das Thema intensivmedizinische Versorgung des Hirntoten an. Er beklagt, dass die Angehörigen über den Ablauf der Organspende nicht detailliert aufgeklärt werden, wie das bei jeder normalen Operation Pflicht ist. Auf dem Organspendeausweis steht zwar "nach meinem Tod…" aber in Wirklichkeit sei ein Hirntoter noch keine Leiche, sondern er zeige viele biologische Zeichen des Lebens: das Herz schlägt, der Körper ist, warm, der Stoffwechsel funktioniert, Wunden heilen… Hirntote sind schwerstkranke Sterbende, aber der Totenschein ist schon da. Der "Hirntod" wurde 1968 deshalb definiert, weil die ersten Organtransplantationen durchgeführt und z. B. ein japanischer Arzt wegen Tötung verurteilt wurde. Es sei also eine juristische Definition, die heute von vielen Medizinern in Frage gestellt wird. Obwohl ein Totenschein ausgestellt wurde, wird der Hirntote weiter behandelt – zu Gunsten eines Anderen – dies sei ein unerträglicher ethischer Widerspruch und stelle auch eine Verletzung von Artikel 1 des Grundgesetzes dar. Die Diskussion ist heute in Medizin, Politik und Gesellschaft offen.
Aus diesem Grund plädiert auch Dr. Bavastro für die enge Zustimmungslösung, also Organentnahme nur, wenn der Betroffene selbst zugestimmt hat. Nur das sei auch eine echte "Organspende".
Aus dem Publikum wurden schließlich einige Fragen gestellt, wovon mir zwei ganz besonders wichtig und entscheidend schienen:
Ist sicher, dass der Organspender bei der Organentnahme keine Schmerzen hat? Dazu antwortet Frau Dr. Toomes, dass medizinisch keine Narkose- und Schmerzmittel notwendig seien. Die berichteten Beobachtungen verunsichern die Zuhörer aber stark. Deswegen ergänzt sie: wenn jemand verfügt, dass er einer Organentnahme nur zustimmt, wenn Narkose- und Schmerzmittel gegeben werden, werden sich die Ärzte auch daran halten.
Steht eine Patientenverfügung, in der lebensverlängernde Maßnahmen ohne Erfolgsaussicht ausgeschlossen werden, nicht einer Organspende entgegen? Das ist so und wird von allen Referenten bestätigt. Möchte man Organspender sein, muss man also seine Patientenverfügung so abfassen, dass die Beatmung und intensivmedizinische Versorgung bis zur Organentnahme aufrecht-erhalten werden darf.
Mein Fazit: Diese Veranstaltung war inhaltlich ganz schwer auszuhalten, da schwere Schicksale und große Gewissensfragen erörtert wurden. Ich stehe persönlich positiv zur Organspende und habe auch einen Organspenderausweis. Dennoch glaube ich, dass die Bedenken der Kritiker nicht einfach abgetan werden können, sondern dass wir als Selbsthilfeverein uns noch genauer informieren und das Gespräch mit den Fachleuten suchen müssen. Denn nur so können wir wirklich zur Aufklärung beitragen und nicht nur für Organspende werben. Auch ich möchte sicher sein, dass meine Würde im Sterben und die Würde meiner Angehörigen geachtet wird und das möchte ich auch für jeden anderen.
Und wir haben das Gespräch gesucht – siehe Artikel "Gespräch mit der Transplantationsbeauftragten des Städtischen Klinikums Karlsruhe am 26.04.13"
Ute Och